Strecke 6710: Wehrebrücke in Eschwege West

Karte der Kanonenbahn

Teil 62:

Die Grabstätten der Opfer, die durch die Katastrophe am 31. März 1945 ums Leben kamen;<br />fotografiert am 21. September 2013 von Hermann Josef Friske

Der Bahnhof Waldkappel nach der Katastrophe 1945

Diese erste Katastrophe mussten die Bürger von Waldkappel erst einmal verdauen.

Die Rettungs- und Bergungsarbeiten begannen unmittelbar nach der Explosion. Der Anblick der Überreste des Bahnhofs war schrecklich!

Durch die Explosion waren etwa 25.000 Kubikmeter Erdreich hoch geschleudert, wo vor ein paar Minuten noch Gleise lagen. Die Trümmer von Gebäuden, Gleisanlagen und Zügen bedeckte die ganze Umgebung. Kleinere Teile flogen kilometerweit.

Auf dem Bahngelände waren 3.800 Meter Gleise und 14 Weichen total zerstört oder ganz einfach verschwunden.

Nur der Räumungszug, der auf der Kasseler Strecke vor dem Bahnhof vor dem Einfahrtssignal wartete, stand noch auf seinem Platz, lediglich alle Scheiben im Zug waren durch die Druckwelle zerborsten. Die Insassen hatten Schutz in einem Wasserdurchlass unter dem Bahndamm gefunden, nur die Herren Holz und Schürle wurden vermisst.

In der Stadt hatte die Explosion gewaltige Schäden hervorgerufen:

Zwischen 17 und bis zu 40 Personen (eine andere Quelle spricht von 80) kamen ums Leben, 138 Häuser in Waldkappel wurden schwer beschädigt, das heißt zu 70 Prozent wurden die Dächer abgedeckt, die Türen und Fensterscheiben zertrümmert oder sonstige Schäden verursacht. Zwei Wohnhäuser, (Bischhäuser Straße 7 und Nordstraße 2) waren so stark beschädigt, dass sie geräumt werden mussten, und die Kirche war ebenfalls nicht mehr zu benutzen.

Durch die Explosion wurden auch viele Einwohner der Stadt durch Glassplitter und herabstürzende Balken oder Ziegel leicht und einige auch schwer verletzt.

3 bis 4 Meter lange Teile von Eisenbahnschienen wurden durch die Explosion bis an die Ortsgrenze von Bischhausen geschleudert, während schwere Eisenplatten und sonstige Eisenteile sich über die umliegenden Felder verteilt hatten. Noch am 4. Mai lagen eiserne Träger von etwa 80 bis 100 Zentner Gewicht im Umkreis von 300 Metern im Bereich des Bahnhofes herum und es stellte sich heraus, dass das Wohnhaus von Schuchardt und Schönewald durch 2 Güterwaggons zertrümmert worden war. Außerdem lagen Güterwagenachsen mit Rädern und andere schwere Eisenteile, die mit Menschenkraft allein nicht beseitigt werden konnten, noch im Bereich von mehreren 100 Metern Entfernung auf den Feldern verstreut herum. Nur gut, dass sich der Bahnhof gut 400 Meter vom Stadtrand entfernt und rund 20 Meter oberhalb der Stadt befindet, sonst wären die Schäden durch die Druckwelle noch wesentlich höher ausgefallen.

Die ausführliche Untersuchung der Katastrophe lässt erkennen, dass die amtlich festgestellte Zahl der Toten den tatsächlichen Verlusten sehr nahe kommt, ein Fragezeichen wird aber für immer bleiben. Im Sterberegister der Stadt Waldkappel sind im Jahre 1945 als Opfer der Katastrophe eingetragen:

1. Stationswart Richard Remm, wohnhaft im Umspannwerk der EAG, geboren am 06.06.1897, gestorben am 31.03.1945 um 23 Uhr. Er wurde zunächst aus den Trümmern des Umspannwerkes geborgen, starb aber wenig später. Frau und Kinder konnten gerettet werden. (8/1945 vom 09.04.45)

2. Anna Apel, geb. Walter, wohnhaft in Waldkappel, Bischhäuser Straße 7. Sie starb um 21 Uhr im Schulgebäude infolge einer schweren Verletzung, hervorgerufen durch eine durch die Druckwelle herausgeschleuderte Tür in ihrem Haus in der Bischhäuser Straße (10/1945 vom 09.04.45)

3. Weichenwärter Wilhelm Adam Mönch, wohnhaft in Waldkappel, Grüner Weg 2, ist am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof Waldkappel gefallen. Er befand sich im Dienstzimmer des Bahnhofs und lief beim Angriff wahrscheinlich in Richtung Bahnhofsvorplatz. Sein Körper wurde dort gefunden, ein Bein an der Laderampe des Güterschuppens. (12/1945 vom 09.04.45)

4. Reichsbahnobersekretär und Bahn­hofs­vor­ste­her Heinrich Multhauf, wohnhaft im Waldkappeler Bahnhof, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof. (14/1945 vom 11.04.45)

5. Luise Multhauf, geb. Lemmer, wohnhaft im Waldkappeler Bahnhof, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof. (15/1945 vom 11.04.45)

6. Reichsbahnassistent und stellvertretender Bahn­hofs­vor­ste­her Adam Koch, wohnhaft im Waldkappeler Bahnhof, gefallen auf dem Bahnhof am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof.(16/1945 vom 11.04.45)

7. Antonie Koch, geb. Gimpel, wohnhaft im Waldkappeler Bahnhof, gefallen am 31.03.1945 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof. (17/1945 vom 11.04.45)

8. Erster Stationswart Karl Hartmann, wohnhaft in Waldkappeler Umspannwerk, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr im Umspannwerk. (18/1945 vom 11.04.45)

9. Zugführer Friedrich Wilhelm Hartmann, wohnhaft im Waldkappeler Umspannwerk, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr im Umspannwerk. Er wohnte als Pensionär bei seinem Sohn Karl Hartmann. (19/1945 vom 11.04.45)

10. Reichsbahnobersekretär August Mosch, wohnhaft im Waldkappeler Bahnhof, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof. Herr Mosch war Pensionär und wohnte kriegsbedingt als Untermieter in der Dienstwohnung von Heinrich Multhauf. (20/1945 vom 11.04.45)

11. Elisabeth Mosch, wohnhaft im Waldkappeler Bahnhof, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof. (21/1945 vom 11.04.45)

12. Christine Viehmann, geb. Böttiger, wohnhaft in Kassel-Bettenhausen, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof. Frau Viehmann hielt sich vorübergehend bei ihrer Schwester Frau Anna Stück in Friemen auf, hatte ihre Strickjacke im Zug vergessen. Auf Benachrichtigung, dass die Jacke gefunden wurde, ging sie zum Bahnhof und wurde dort zufällig Opfer der Katastrophe. (24/1945 vom 17.04.45, angezeigt von Frau Anna Stück, Friemen)

13. Bäckergeselle Christoph Lange, wohnhaft in Geismar, Kreis Heiligenstadt, Hintergasse 15, gefallen am 31.03.45 um 16.55 Uhr auf dem Bahnhof Waldkappel. Er arbeitete in Hirschhagen bei der Dynamit AG und war wahrscheinlich auf der Heimfahrt. Sein Wehrpass wurde im Juli 1945 bei Aufräumarbeiten auf dem Bahngelände gefunden. Zusatz des Bürgermeisters: Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Vermutung zutrifft, worauf der Todesfall in das Sterberegister aufgenommen wurde. (33/1945 vom 31.07.45)

14. Oberreichsbahnrat Gerhard Karl Hermann Holz, wohnhaft in Kassel, Reichsbahnmaschinenamt, gefallen auf dem Bahnhof Waldkappel am 31.03.45 um 16.55 Uhr. Herr Holz ist im Luftschutzraum des Bahnhofes ums Leben gekommen. Die Freilegung des Luftschutzraumes erfolgte erst am 5. Ok­to­ber 1945, worüber das Betriebsamt Eschwege an die Reichsbahndirektion Kassel am 11. Ok­to­ber berichtete: Es wurden aller Wahrscheinlichkeit nach Leichenteile von 5 Personen geborgen. Unterlagen zur Feststellung der Personalien fanden sich nicht, jedoch wurden in der Nähe einer Leiche neben Stoffresten die Schulterstücke eines Oberreichsbahnrates gefunden, die nur Gerhard Holz gehört haben können. Vor der Beisetzung der Opfer fand auf dem Bahngelände eine Trauerfeier statt. Der letzte Kellerraum, der wenige Tage später freigelegt wurde, enthielt keinerlei Leichenteile. (37/1945 vom 13.12.45)

Im Sterberegister des Standesamtes Eschwege sind im Jahre 1945 eingetragen:

15. Anna Katharina Hartmann, geb. Luckhart, Witwe, wohnhaft im Waldkappeler Umspannwerk, gestorben im Kreiskrankenhaus Eschwege am 09.04.45 um 1.30 Uhr an einer Gehirnquetschung, hervorgerufen durch Feindeinwirkung, siehe auch Waldkappel Nr. 18 und 19/45 (218/45 vom 10.04.45)

16. Schüler Klaus Wilhelm Hitzeroth, wohnhaft in Waldkappel, Leipziger Straße 40, gestorben am 10.04.1945 um 15.40 Uhr im Krankenhaus Eschwege. (Eltern: Wilhelm Gerhard Hitzeroth und Anna Katharina Hitzeroth, geb. Suck) Die Todesursache war eine Gehirnverletzung. Klaus Hitzeroth befand sich zum Zeitpunkt der Explosion auf der Bahnhofstraße, wo ihn ein Sprengbrocken schwer verletzte. Er war das einzige Opfer im Kindesalter. (221/1945 vom 11.04.45)

17. Reichsbahn-Inspektor Georg Wilhelm Schürle, zuletzt wohnhaft in Kassel, Landaustraße 22, ist gefallen, festgestellt durch die Entscheidung des Amtsgerichts Kassel, vom 6. No­vem­ber 1946 (7-II-14a 46) Der Zeitpunkt des Todes ist auf den 31.03.45 um 24 Uhr festgesetzt worden. (8. A­pril 1947 in Berlin) Frau Luise Schürle, war die einzige Frau im Räumungszug 2 der Reichsbahndirektion Kassel. Nach der Explosion suchte sie mit anderen Zuginsassen vergeblich nach ihrem Mann. Auch die Aufräum- und Ausgrabungsarbeiten brachten keinerlei Hinweise. Herr Wilhelm Schürle ist seit der Explosion spurlos verschwunden. (1611/Dd 1947)

Dieses waren die amtlich festgestellten Opfer der Katastrophe auf dem Bahnhof Waldkappel. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die Anzahl der Todesopfer jedoch höher. Die Bergungsarbeiten waren am 12. A­pril 1945 noch im vollen Gange. Einige Augenzeugen berichten von etwa 40 bis 50 Opfern, andere wiederum sprechen sogar von über 80 Toten, was der Autor jedoch für unwahrscheinlich hält, denn dieser Augenzeuge zählte die Anwesenden in den Wartesälen mit, die jedoch unterhalb des Abhanges südlich des Bahnhofs Deckung gefunden hatten. Die ganze Wahrheit über die Höhe der Opfer wird wohl nie mehr ermittelt werden. Es werden sicher noch einige Tote mehr zu beklagen sein, von denen aber die heftige Explosion keine oder nur einzelne kleine Teile übrig gelassen hatte, so dass es keinerlei Möglichkeiten einer Identifizierung gegeben hatte, erwähnt wird dieses nur im Bericht des Pfarrers Ferrau. Mögen die Opfer in Frieden ruhen, die Katastrophe in den letzten Kriegstagen aber nie in Vergessenheit geraten und den Lebenden zur Mahnung dienen.

Aber auch die Amerikaner verloren bei der Explosion vermutlich sogar 2 Flugzeuge. Aus amerikanischer Sicht vom Mustangpilot der 354. Staffel Oberleutnant Warren H. Jolly geschah folgendes:

Während einer Patrouille westlich von Erfurt sahen wir auf einem Bahnhof einen abfahrbereiten Güterzug stehen. Nachdem wir gewendet hatten, griffen wir den Zug aus nördlicher Richtung her an. Nachdem der Staffelführer Oberleutnant Calvin S. Walker den Befehl zum Angriff gegeben hatte, flogen vor uns Oberleutnant Walker und direkt hinter mir Leutnant John P. Ryan, die den Zug mit MG-Feuer beschossen. Genau in dem Augenblick, als sich die beiden Flieger direkt über dem Zug befanden, explodierte dieser. Einem der beiden, vermutlich Ryan, wurde durch die Explosion eine Tragfläche abgerissen, während ich in einer steilen Linkskurve nach oben zog. Während dieses Vorganges konnte ich nicht erkennen, was danach geschah. Anschließend kreiste ich über der Stelle, konnte aber kein Flugzeugwrack oder einen Fallschirm erkennen, für diesen wäre das Flugzeug ohnehin zu tief gewesen. Auf meinen Versuch, Funkkontakt mit den beiden Fliegern aufzunehmen, erfolgte keine Antwort, sowohl Walker als auch Ryan meldeten sich nicht mehr. Daraufhin flogen wir zu unserem Einsatzflughafen zurück.

Laut amerikanischer Verlustlisten wurde Leutnant Ryans Flugzeug durch die Explosionswelle in der Luft zerfetzt, wobei er den Tod gefunden hat. Die Waffenkamera von Oberleutnant Jolly zeigte den Moment, als durch die Explosion dem Mustang eine Tragfläche abgerissen wurde.

Der damalige Pfarrer Ferrau, der während der Kriegszeit und in den schweren Nachkriegsjahren in Waldkappel evangelischer Pfarrer war, berichtete über die Explosionskatastrophe folgendes:

Die Auswirkungen der Explosion waren noch im Umkreis von 5 bis 10 km spürbar. Bäume waren aus der Erde gerissen, der Bahnhof, das Überlandwerk und die Zementfabrik waren vom Erdboden verschwunden. Wo vorher der Munitionszug gestanden hatte, war nun eine 1 km lange und 500 Meter breite Mulde entstanden. Allein am Bahnhof waren der Explosion 80 Menschen zum Opfer gefallen, von denen später nur noch einzelne Überreste geborgen werden konnten. Die in der Nähe befindlichen Häuser der Familien Botthof und Apel waren durch die Nähe zum Bahnhof infolge der Explosion so stark zerrissen, dass ein Wiederaufbau unmöglich war. Viele Häuser, vor allem die Scheunen, wurden abgedeckt und die meisten Fenster in der Stadt mitsamt dem Rahmen vollkommen zerstört, dass nur noch leere Fensterhöhlen zurück geblieben sind. Die Kirche war ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Alle Fenster einschließlich der Bleiverglasungen waren eingestürzt und selbst die großen Eichentüren waren in kleine Stücke zerrissen. Die Orgel war ebenfalls beschädigt und die Decke hatte nun etliche große Löcher zu verzeichnen. Nur das neue Kirchendach hat teilweise standgehalten, und der Turm war wie durch ein Wunder unversehrt.

Es gab auch einige Überlebende bei der Explosion, nämlich Personen, die von innerer Unruhe getrieben, sich zum Zeitpunkt der Katastrophe nicht auf dem Bahnhofsgelände befanden. Dieses waren:

Frau Martha Allstädt, geb. Schröder, die als Untermieterin bei Familie Adam Koch im Bahnhofsgebäude wohnte, weilte bei ihrer Tante in der Stadt.

Der Reichsbahnbedienstete Friedrich Vogeler sah nach seiner Familie im Ort und wurde dadurch Kronzeuge des Geschehens vor und nach der Explosion.

Auch die Bahnhofswirtin, Frau Furchner, hat das Inferno überlebt, denn sie befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht auf dem Bahnhofsgelände.

Der Zug, der auf dem Kasseler Gleis gestanden hatte, wurde vollständig ausgeplündert. Dabei kann es sich eigentlich nur um den 2. Kasseler Räumzug von der Dienststelle Hauptbahnhof gehandelt haben, der vor dem Einfahrtssignal aus Kassel kommend, stehen geblieben war. Ein weiteres Indiz spricht für den Räumzug, weil dieser vor Allem durch die Bewohner der Nachbardörfer geplündert worden ist und die Waldkappeler Bevölkerung sich daraus nur die Dinge geholt haben sollen, was sie an Holz für Fenster, Türen und Notwohnungen dringend benötigt hatten. Der Zug wurde erst nach einigen Tagen gesichert und es erfolgte daraufhin eine Einlagerung und geordnete Aufbewahrung der noch übrig gebliebenen Zugfracht. An der Gemarkungsgrenze zu Harmuthsachsen soll am 24. A­pril 1945 noch ein Bauzug gestanden haben, aus dem sich Waldkappeler Bürger einen Schrank geholt hatten, der als Küchenschrank Verwendung gefunden hatte.

Im Rahmen der Friedhofsumgestaltung im Jahre 1972 wurde ein gemeinsames Gräberfeld für die Toten um Ostern 1945 eingerichtet, die an verschiedenen Stellen des Friedhofes beerdigt waren. Sie haben nun in der Nähe der Friedhofskapelle eine würdige gemeinsame Ruhestätte gefunden, um die Besucher des Friedhofes an die schweren Zeiten der Zerstörung des Bahnhofes und teilweise auch des Ortes zu erinnern.
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Autor: Hermann Josef Friske

Teil 64:

Die Grundmauern des Stellwerks »Wo«;<br />fotografiert am 6. März 2006 von Hermann Josef Friske

Die Reste des Ausziehgleises aus preußischen Schienen mit Prellbock;<br />fotografiert am 6. März 2006 von Hermann Josef Friske

Der Schalterraum im Bahnhof Waldkappel;<br />fotografiert am 15. März 2009 von Hermann Josef Friske

Eine Sackkarre aus der Güterabfertigung von Waldkappel befindet sich im dortigen Heimatmuseum;<br />fotografiert am 26. Juli 2002 von Hermann Josef Friske

Der Bahnhof Waldkappel bis 1974

Bereits Mitte der 1950er Jahre wurden auf der Strecke zwischen Eschwege und Treysa die ersten mit Dampf betriebenen Züge durch die roten Triebwagen der mit Diesel angetriebenen Serie VT 95 ersetzt, die sich in den folgenden Jahren aus Kostengründen immer mehr durchsetzten.

Auf dem Bahnhof Waldkappel wechselten die Bahn­hofs­vor­ste­her nach dem 2. Welt­krieg insgesamt viermal. Die ersten Waldkappeler Bahn­hofs­vor­ste­her vor dem Krieg verlieren sich im Laufe der Geschichte, weil durch die Zerstörung des Bahnhofes am 31. März 1945 auch sämtliche Unterlagen über den Bahnhof mit verloren gingen. Nachdem der bis zur Explosionskatastrophe am 31. März 1945 als Bahn­hofs­vor­ste­her tätige Reichsbahnobersekretär Heinrich Multhauf das Inferno nicht überlebt hatte, wurde schon bald nach Fertigstellung des Provisoriums mit Franz Wiesner ein neuer Bahn­hofs­vor­ste­her ernannt. Sein Nachfolger wurde ein Herr Gruner, dem vermutlich ab Mai 1955 nach der Schließung des Schwebdaer Bahnhofs Siegfried Nolte folgte, der bis dahin Bahn­hofs­vor­ste­her in Schwebda war. Als letzter wurde dann Helmut Apel zum Bahn­hofs­vor­ste­her ernannt, der dann die Geschicke des Bahnhofs bis zu seiner Zuordnung zum Eschweger Bahnhof am 1. Ja­nu­ar 1976 leitete, wonach der Waldkappeler Bahnhof schließlich seine Selb­stän­dig­keit verlor. Danach unterstand der Bahnhof bis zu seiner Stilllegung dem Bahnhof Eschwege. Die Aufstellung der Bahn­hofs­vor­ste­her ist nur ungenau und auch nicht vollzählig, aber ab 1950 dürfte zumindest die Namensfolge stimmen.

Als Fahr­dienst­lei­ter fungierte für viele Jahre bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1975, Willi Burschel aus Reichensachsen, der sich stets am Telefon mit dem Wortlaut "Burschel is hier, - wer ist da? – Burschel is hier!" meldete. Willi Burschel hatte, bevor er nach Waldkappel überwechselte, seinen Dienst als Zugmelder im alten Stellwerk Ewf im Bahnhof Eschwege-West geleistet. Fahr­dienst­lei­ter auf dem Stellwerk Ewf war Franz Weiner Senior aus Nid­da­witz­hau­sen.

Seit der Einweihung des neuen Bahnhofsgebäudes im Jahre 1958 gab es mit Heinrich Vollmann auch noch einen weiteren Fahr­dienst­lei­ter am Waldkappeler Bahnhof. Vollmann, der von der Pieke auf bei der Bahn gelernt hatte, wurde als Lehrjunge bei der Bahn überall eingesetzt. Damals durfe er sogar beim Abholen von alten Güterwaggons vom Schwebdaer Bahnhof im Brem­ser­häus­chen von eingestellten Waggons ohne Luftdruckbremse sitzen. Später half er von Waldkappel aus auch mal im Bahnhof Bischhausen aus, wo er mit dem Fahrrad hin und zurück fuhr. Da der Bahnhof sehr lange Öffnungszeiten hatte, wurde dort im 2-Schichten-System gearbeitet. Entweder von 3:20 Uhr bis 13 Uhr oder von 13 Uhr bis 0:15 Uhr. Zur Nachtzeit war, wie überall an Nebenstrecken, Betriebsruhe.

Bis zum Neubau des Bahn­hofs­gebäu­des in Waldkappel besaß der Bahnhof auch das alte Stellwerk »Wo«, das an erhöhter Stelle am Ende des Bahnhofsbereichs in Richtung Eschwege stand, das um das Jahr 1910 auf Grund einer neuen Signalordnung errichtet wurde, die seit dem Jahre 1907 Gültigkeit besessen hatte. Dieses Stellwerk wurde noch per Kohleofen beheizt.

Eines Tages, es wird wohl Ende der 1950er Jahre gewesen sein, wurde für dieses Stellwerk ein Waggon Kohlen angeliefert. Nur notdürftig mit einer Holzbohle gesichert, machte sich der Waggon während der Entladung der Kohlen selbständig und da die Strecke abschüssig und die Weiche auf »Gerade« gestellt war, ging der Waggon ab in Richtung Bischhausen. Kurz vorher hatte aber der Zug um 13:35 Uhr, aus Treysa kommend, den Bahnhof Waldkappel in Richtung Eschwege verlassen. Kurz dahinter folgte nun der Kohlenwaggon. In Bischhausen hielt der Zug nicht, da man den Lokführer per Handzeichen zur Durchfahrt aufgefordert hatte. Die Schranken hielt man auf der Strecke geschlossen und versuchte in Bischhausen vergeblich, den immer schneller werdenden Waggon mit einem Hemmschuh, der mit Steinen belegt war, zu stoppen. Die Geschwindigkeit war aber zu hoch, der Hemmschuh wurde einfach zur Seite gedrückt. In Eschwege-West befand sich der Waggon schon dicht hinter dem fahrplanmäßigen Zug, der auf seinem Gleis in den Bahnhof einfuhr. Anschließend folgte die Fahrstraßen-Auflösung per Hand. Die Weiche wurde umgestellt und der Kohlenwaggon landete auf dem Abstellgleis, wodurch die Aktion ein glückliches Ende fand.

Das Stellwerk hatte nur kurze Zeit nach der Einweihung des neuen Bahnhofsgebäudes endgültig ausgedient und wurde danach stillgelegt. Das bereits stillgelegte Stellwerk hatte der Autor vor dem Abriss noch selber betreten. Die Aussicht von der oberen Etage war großartig. Man konnte von dort oben den Bahnhof sowie das weite Umland überblicken. Leider war das Innere des Stellwerks bereits damals mit dort zurückgelassenen alten Matratzen und leeren Konservendosen verschandelt. Sogar ein Feuerchen hatte man im Gebäude schon entfacht, verkohlte Holzreste und eine geschwärzte Wand belegten dieses. Abgerissen wurde das Stellwerk erst Jahre später, weil ständig randalierende Jugendliche und auch Obdachlose sich das Gebäude als Asyl auserkoren hatten. Als dieses schließlich der Spitzhacke zum Opfer fiel, war Heinrich Vollmann persönlich mit seiner Muskelkraft daran beteiligt.

Der Bahnhof Waldkappel besaß auch ein Ausziehgleis, das rechts vom Streckengleis in Richtung Eschwege verlief. Auf diesem Gleis wurden die Züge rangiert, aber auch als Ablaufberg fand dieses Gleis Verwendung, da es ursprünglich den Bahndamm-Abhang hinauf führte. In späterer Zeit wurde dieses Gleis mehrmals verkürzt und fand schließlich nur noch als Abstellgleis Verwendung. Das Ausziehgleis preußischer Bauart besteht noch aus den alten original preußischen Schienen, die mit einem geringeren Durchmesser als die heutigen Gleise gefertigt wurden und stammen wohl noch aus der Zeit um das Jahr 1900 und wurden wahrscheinlich etwa im Jahre 1905 verlegt, vielleicht im Zusammenhang mit dem bevorstehenden zweigleisigen Ausbau, der an verschiedenen Stellen des Streckenabschnitts stattfinden sollte.

Für den Rangierbetrieb war in späterer Zeit eine Lautsprecher-Anlage installiert, die 3 Knöpfe besaß und zum Rangierbahnhof, zum Gleis 2 und zu Gleis 10 führte.

Da Waldkappel Umsteigebahnhof war, brachte der Bahnhof im Laufe seiner Geschichte auch einigen Waldkappeler Bürgern einen Arbeitsplatz bei der Bahn, sei es nun vor Ort oder im Zugdienst.

Als aber im Jahre 1945 die Zonengrenze gezogen wurde, brachte das die ersten Einbußen entlang der Strecke, wovon auch der Bahnhof Waldkappel betroffen war. Die zunehmende Motorisierung tat ein Übriges, so dass in den 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts immer weniger Fahrgäste mit dem Zug fuhren. Schließlich verdichteten sich im Jahre 1971 die Anzeichen, dass die Bahn den Streckenabschnitt zwischen Waldkappel und Spangenberg stilllegen würde.

Bereits am 3. No­vem­ber 1961 sah der erste Entwurf einer Umgehungsstraße für die Ortslage von Waldkappel die Durchquerung der Kanonenbahn im Wehreviadukt vor. Im Dezember 1968 sah der Plan vor, dass die Bahnhofstraße und die Kanonenbahn durch ein Brückenbauwerk gekreuzt werden sollten. Aber dazu kam es nicht mehr.

Bereits im Jahre 1966 sah der Stufenplan der DB die Stilllegung des Streckenabschnitts von Waldkappel nach Malsfeld vor, aber erst ab 1971 verdichteten sich die Anzeichen, dass die DB in Erwägung zog, den Streckenabschnitt von Waldkappel nach Spangenberg stillzulegen, denn der Tunnel durch den Eisberg bei Bischofferode sowie Gleise und Unterbau der Kanonenbahn auf diesem Abschnitt befanden sich mittlerweile in einem maroden Zustand und würden Millionenbeträge verschlingen, die zu den Erträgen auf der Strecke in keinem Verhältnis standen.

Der letzte Fahrplan der Kurs­buch­strec­ke 525 von Eschwege über Malsfeld nach Treysa wies noch 8 Zug­ver­bin­dun­gen pro Tag aus, die zwischen 6 und 22 Uhr verkehrten. Dieser Fahrplan war vom 30. Sep­tem­ber 1973 bis zum 25. Mai 1974 gültig.

Die Stadtverordneten von Waldkappel verabschiedeten am 14. Ok­to­ber 1972 eine Resolution, um die Schließung des Streckenabschnitts doch noch zu verhindern. Alle zuständigen Ministerien, sowie alle Bundestags- und Landtagsabgeordneten im nordhessischen Raum erhielten diese Resolution, aber ohne Erfolg. Die erhoffte Reaktion blieb jedoch aus. Das Bundeskabinett befasste sich im Sommer 1973 nochmals mit der Kanonenbahn, insbesondere mit dem Streckenabschnitt zwischen Waldkappel und Spangenberg, da hierbei auch Nato-Interessen berührt wurden, aber es half alles nichts:

Am 25. Mai 1974 fuhr der Abschiedszug als letzter durchgehender Zug zwischen Eschwege über Waldkappel, Spangenberg und Malsfeld nach Treysa. Der allerletzte Triebwagen auf der Strecke verließ den Bahnhof Waldkappel abends um 23:32 Uhr und erreichte den Bahnhof Malsfeld kurz vor Mitternacht. Nach fast 100 Jahren kam an diesem Tage das endgültige Aus für eine durchgängige Zugfolge zwischen Eschwege und Treysa. Zwischen Spangenberg und Malsfeld gab es danach noch für etliche Jahre Güterverkehr, nur zwischen Malsfeld und Treysa verkehrten zunächst noch Personenzüge, denn dieser Streckenabschnitt war in dieser Zeit zumindest zwischen Malsfeld und Oberbeisheim noch sehr stark frequentiert, vor Allem im Güter- und Berufsverkehr.

Aber so weit war es noch nicht!

Zunächst sollte am 11. März 1973 noch einmal ein historischer Dampfzug der Kasseler Eisenbahnfreunde mit dem Hessencourier durch Waldkappel fahren, der von einer Lok der Bau­rei­he 24 gezogen wurde, der 24 009. Diese Baureihe wurde zwischen den Jahren 1931 und 1945 auf der Strecke zwischen Treysa und Leinefelde oft gesehen, da in Treysa einige Maschinen dieser Baureihe beheimatet waren. So kam es, dass man diesem Dampfzug in Waldkappel auch eine erhöhte Aufmerksamkeit entgegen brachte. Heinrich Vollmann zwängte sich vor dem Eintreffen des Zuges in eine ihm viel zu enge historische Uniform, dann rauchte er auf dem Bahnsteig noch schnell eine Zigarre, wobei er mit den reichlich vorhandenen Zuschauern auf das Eintreffen des Sonderzuges wartete. Nach dem Halt des Zuges in Waldkappel gab Heinrich Vollmann wie in alten Zeiten das Abfahrtssignal für den Zug mit Kelle und Trillerpfeife.

Außer der Sonderfahrt mit der 24 009 fanden während der letzten Betriebsjahre des Streckenabschnitts auch noch weitere Sonderfahrten mit historischen Lokomotiven statt, so die Sonderfahrt mit einem alten Triebwagen der Baureihe VT 60 und einer Fahrt mit der Diesellokomotive 236 114-5 des Hessencouriers, die am 24. März 1974, nur wenige Wochen vor der Streckenstilllegung, stattfand.

Nachdem die Resolution des Stadtparlaments von Waldkappel so wie die Intervention von einigen Politikern nichts gebracht hatte, dümpelte der Verkehr auf der Strecke zwischen Waldkappel und Malsfeld so vor sich hin und die meisten Reisenden sahen sich nach einer anderen Fahrgelegenheit um. Nur die Schüler hatten keine Alternative, sie benutzten den Triebwagen, so lange es noch möglich war.

In Waldkappel gibt es da einen Stammtisch, der überwiegend aus Angehörigen der Feuerwehr besteht und für viele Streiche zu haben ist. Dem Stammtisch »Rotes Horn« haben wir es zu verdanken, dass die Kanonenbahn einen würdigen Abschied bekam, aber darüber erfahren wir im nächsten Kapitel.
Weiter zu Teil 65: Waldkappels Abschied von der Kanonenbahn

Autor: Hermann Josef Friske

Teil 66:

Das noch erhaltene Freiladegleis am Bahnhof Waldkappel;<br />fotografiert am 4. Februar 2007 von Hermann Josef Friske

Das Lademaß am Bahnhof Waldkappel;<br />fotografiert am 18. November 2007 von Hermann Josef Friske

Das Ende des Kanonenbahngleises am Bahnhof Waldkappel;<br />fotografiert am 4. Februar 2007 von Hermann Josef Friske

Die Ausfahrtssignale in Richtung Kassel am Bahnhof Waldkappel;<br />fotografiert am 4. Februar 2007 von Hermann Josef Friske

Der Bahnhof Waldkappel bis zur heutigen Zeit

Nur wenige Tage, nachdem der letzte Zug den Bahnhof Waldkappel in Richtung Mals­feld verlassen hatte, wurde der Bahndamm wenige Meter hinter dem Bahnhof auf einer Länge von etwa 100 Me­tern in seiner Höhe drastisch re­du­ziert und etwa weitere 200 Me­ter völlig abgetragen, um für die neue Bun­des­stra­ße 7 Platz zu schaffen. Die beim Wegreißen des Bahndammes an­fal­len­den Erd­mas­sen wurden zum Auffüllen der neuen Bahnhofstraße ver­wen­det.

Seit dem 26. Mai 1974 war der Bahnhof Waldkappel nur noch Durch­gangs­bahn­hof, einer von vielen, die an der Strecke von Eschwege nach Kassel la­gen. Das Fahr­gast­auf­kom­men am Bahnhof Waldkappel sank schon aus der Angst der Waldkappeler Einwohner heraus, dass ihnen auch diese Zug­ver­bin­dung vermutlich bald genommen würde. Daher begannen die Bürger der Stadt und aus dem Umland damit, sich um zu orientieren und stiegen daher um, auf den Bus oder den eigenen PKW.

Die Anlieferungen im Güterverkehr dürften in den letzten Betriebsjahren des Bahn­hofes auch recht dürftig gewesen sein, da der Bahnspediteur Willi Röß das Frachtaufkommen locker mit seinem Pferdegespann bewältigen konnte. Nur die angelieferten Waggonladungen konnte Willi Röß natürlich nicht ab­trans­por­tie­ren, sie wurden per LKW abgefahren.

Durch die sinkende Zahl der Züge infolge des Wegfalls der Zugverbindung zwi­schen Eschwege und Treysa, verbunden mit stagnierenden Fahrgastzahlen, ging eine Reduzierung der Öffnungszeiten des Fahrkartenschalters einher.

Die Züge verkehrten nach der völligen Stilllegung der Strecke zwischen Wald­kappel und Spangenberg noch für weitere 11 Ja­hre auf der Bahnlinie zwischen Eschwege und Kassel. Schließlich kam im Mai 1985 dann auch dort das schon lange befürchtete »Aus« auch für diese Strecke. So fuhr dann schließ­lich am 31. Mai 1985 der Ab­schieds­zug mit der letzten Zugkreuzung im Bahn­hof Wald­kappel auf der Strecke. Am gleichen Tag fuhr dann noch ein al­ler­letz­ter Trieb­wa­gen, danach gab es auch zwischen Esch­wege und Kas­sel kei­ner­lei Per­so­nen­ver­kehr mehr.

Nachdem die Strecke für den Personenverkehr geschlossen worden war, fuhr zu­nächst noch einmal wöchentlich eine Kleinlok mit Güterwagen bis nach Wald­kappel, da die Strecke für den Güterverkehr zunächst noch offen blieb. Aber auch dieser Verkehr reduzierte sich ständig. In den letzten Jahren fuhr man nur noch einmal im Monat, dann nur noch nach Bedarf.

Das endgültige Aus für den Güterverkehr kam dann am 1. Ja­nu­ar 1993, der Tag der offiziellen Stilllegung ist jedoch nicht bekannt.

Während der 8 Ja­hre, in denen nur noch Güterverkehr stattfand, begann sich der Zustand des Bahnhofsumfeldes und der Gleise, die nun nicht mehr be­nö­tigt wurden, langsam aber stetig zu verändern, überall begann sich Bewuchs und Zerstörung breit zu machen. Das betraf die Kanonenbahnseite noch mehr als die Kasseler Strecke.

Nachdem von Waldkappel aus keinerlei Züge in Richtung Walburg mehr fuh­ren, da dieser Streckenabschnitt sofort nach Beendigung des Per­so­nen­ver­kehrs am 1. Ju­ni 1985 offiziell stillgelegt wurde, bauten sich einige junge Männer aus Waldkappel ein Schienengefährt, das aus zwei Ein­hei­ten be­stand, nämlich einem Motorwagen und einem mit Sitzbänken ausgestatteten An­hän­ger. Hiermit befuhr man an den Wochenenden von Waldkappel aus die Strecke in Richtung Kassel bis nach Küchen. Nachdem die jungen Männer aber auf die Un­recht­mä­ßig­keit ihres Treibens und die verkehrsrechtliche Un­si­cher­heit hin­ge­wie­sen worden waren, beendeten sie ihre Ausflüge per Schie­nen­fahr­zeug an den Wochenenden. Das Gefährt stand bis im Sommer 2005 noch auf dem Ab­zweig­gleis zum ehemaligen Lokschuppen und rostete vor sich hin. Das Fah­ren mit dem Gefährt war nicht mehr möglich, da vor und hin­ter dem Fahrzeug auf den Gleisen inzwischen dicke Bäume wachsen.

So finden wir heute den ganzen Bahnhofsbereich vor, man glaubt, im Urwald zu stehen. Im Januar und Februar 2005 wurden die Gleise im östlichen Be­reich in Richtung Eschwege bis hin zu den einstigen Ein- und Aus­fahrt­sig­na­len massiv abgeräumt, nur jenseits der Signale liegen sie noch.

Das Gefährt ist inzwischen verschwunden, es hatte sich jedoch je­mand ge­fun­den, der das Gefährt aufarbeiten wollte, um es danach selbst für die Drai­si­nen­strecke bei Bischhausen in Gebrauch zu nehmen, jedoch wird daraus nichts mehr. Die Signale, Schrankenanlagen und Telegrafenmasten werden nach und nach in die Lengenfelder Draisinenstrecke integriert.

Der Bahnhofsbereich, der vor der Feldwegüberführung bei km 61,49 begann und erst an der in Richtung Waldkappel führenden Straße bei km 62,45 en­de­te, verfügte über recht lange Gleise, denn dazwischen lagen immerhin etwa 950 Me­ter, das bedeutet, dass der Bahnhof auch Verschiebebahnhof war und auch lange Züge aufnehmen konnte. Das war für die oftmals sehr langen Mi­li­tär­zü­ge auch wichtig, damit sie von schnelleren Zügen üüberholt wer­den konn­ten.

Das Stellwerk »Wo«, von dem inzwischen nur noch geringe Reste in Form von Grund­mau­ern zu finden sind, stand an Km 61,755 und befand sich in Fahrt­rich­tung rechts hinter dem zwischenzeitlich nicht mehr vorhandenen Holzstoss aus Bahnschwellen.

Die Strecke nach Kassel zweigte bereits bei km 61,65 nach rechts von der Ka­no­nen­bahn ab und endete hier von Kassel her gezählt mit dem km 50.

Gegenüber dem Bahnhofsgebäude stand auch im März 2006 noch eine ein­ge­zäun­te Gegensprechanlage mit einem Mikrofon. Wurden von hier aus etwa in den letzten Betriebsjahren auch die notwendigen Laut­spre­cher­an­sa­gen ge­tä­tigt?

In Waldkappel pflegt der dort ansässige Museumsverein auch das örtliche Heimatmuseum, in dem auch einige Ausstellungsstücke und Bilder aus der Betriebszeit der Kanonenbahn gezeigt werden, unter anderem auch eine Sackkarre, die noch bis zum letzten Betriebstag des Bahnhofs Waldkappel in Gebrauch war.

Wie an vielen Bahnhöfen entlang der Kanonenbahn wurde die Zufahrtsstraße zum Bahnhof auch in Waldkappel in Form einer Allee ausgeführt.

Das Bahnhofsgebäude war nach der Stilllegung für einige Jahre vermietet, steht aber inzwischen seit vielen Jahren leer. Offensichtlich steht das Ge­bäu­de zum Verkauf, aber wer könnte sich für ein vernachlässigtes Gebäude in de­so­la­tem Umfeld interessieren? Im Inneren kann man immer noch die Ein­rich­tung vom Schalterraum bewundern.

Die Güter-Freiladegleise besaßen eine eigene Zufahrt, die vom Ort her ge­se­hen noch einige Meter vor der Bahnhofsauffahrt zu den Ladegleisen hinauf führ­te. Diese Gleise, von denen inzwischen nur noch Reste vorhanden sind, en­de­ten direkt vor der heute noch vorhandenen Brücke am Ende des Bahn­hofs, wo noch eine von einstmals zwei Verladerampen erhalten ist.

Dort befindet sich auch der noch erhaltene Sockel von der Bahnhofsflak aus dem 2. Welt­krieg. Viel genutzt hatte die Flak bekanntlich nicht.

Auf der Zufahrt zu den Freiladegleisen steht bis heute noch das alte La­de­maß, obwohl das zugehörige Gleis inzwischen abgebaut wurde.

Nur wenige Meter rechts vom Freiladegleis endet heute ein letztes noch vor­han­denes Stück vom Kanonenbahngleis kurz vor dem letzten erhaltenen Ki­lo­me­ter­stein bei Km 62,4 auf dem Bahnhofsgelände. Die gekreuzten Balken sind in­zwi­schen in sich zusammen gefallen. Die weiteren Kilometersteine feh­len we­gen der Unterbrechung des Bahndammes durch die B 7.

Die Brücke am Ende des Bahnhofs bei km 62,45 war ursprünglich auch eine Un­ter­füh­rung, wie man noch auf alten Stadtansichten erkennen kann. Diese wur­de jedoch entweder nach dem Inferno auf dem Bahnhof im Jahre 1945 in Mit­lei­den­schaft gezogen oder sie wurde umgebaut, weil der Durchlass für den wachsenden Verkehr zu eng geworden war. Vor der Unterführung scheint ur­sprüng­lich eine hohe und starke Mauer den Damm der Kanonenbahn am En­de des Bahnhofs gestützt zu haben. Hinter der heute nicht mehr exis­tie­ren­den Brücke, von der inzwischen lediglich noch der Sockel des hinteren Wi­der­la­gers er­hal­ten ist, wurde die Trasse bis zum Einschnitt an der B 7 teilweise ab­ge­tra­gen. Sie wurde ebenso wie die Brücke im Jahre 1974 entfernt.

Erst hinter der Bundesstraße ist die Trasse wieder in voller Höhe erhalten, je­doch liegen hier nun keine Gleise mehr.

Anders sieht es auf der Strecke in Richtung Kassel aus. Diese ist ab dem Bahnhofsgebäude noch fast vollständig erhalten, sogar die Ausfahrtssignale in dieser Richtung stehen noch, nur die Brücke am Ende des Bahnhofs liegt hin­ter dem inzwischen abgetragenen westlichen Widerlager auf den Gleisen, denn sie wurde nur demontiert, da die hoch beladenen LKW der Firma Holz-Otto sonst nicht unter der Brücke hindurch gepasst hätten.

Auf dem Gelände des heutigen Schrottplatzes ist das Gleis zum ehemaligen Lok­schup­pen noch bis zu der Stelle erhalten, an der sich einmal die Dreh­schei­be befand.

Selbst, wenn der Bahnhof einmal total verschwunden sein sollte, werden die Na­men der Straßen, die bis heute zum ehemaligen Bahnhof hin führen, wohl als Erinnerung an Waldkappels große Zeit erhalten bleiben.

Zu erwähnen bleibt noch, dass das westliche Widerlager an der Ausfahrt in Rich­tung Kassel im Frühjahr 2012 abgerissen wurde, da die Straße zum Goss­manns­ring verbreitert wurde und die Stadt Waldkappel am ehemaligen west­li­chen Widerlager einen Bauhof errichtet hat.

In Richtung Kassel ist die Bahntrasse mittlerweile ebenfalls vielerorts durch den Bau der neuen Autobahn unterbrochen, auch die Brücke, auf der im Jahre 1898 der Zug nach Kassel entgleist war, ist inzwischen abgebrochen.
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Autor: Hermann Josef Friske

Teil 68:

Ansichtskarte vom Gasthaus Borschel um 1930 mit dem Bahnhof Burghofen;<br />aus der Sammlung von Hermann Josef Friske

Die Ahornallee der Bahnhofszufahrt am Bahnhof Burghofen;<br />fotografiert am 27. Juni 2012 von Hermann Josef Friske

Der Bahnhof Burghofen bis 1945

Nachdem am 2. No­vem­ber 1872 zwischen Waldkappel und Spangenberg mit den Vermessungen für die Bahnlinie begonnen wurde, kam dann im folgenden Jahr Leben in die sonst verschlafenen Dörfer Burghofen und Schemmern, weil im Frühjahr 1873 dann mit den ersten Bauarbeiten für die Bahn begonnen wur­de. Dadurch kam es zu ersten Einquartierungen in den beiden Orten.

Da in deren Gemarkung auch ein Bahnhof errichtet werden sollte, gab es im Plan ein Kuriosum, das damit endete, dass das Bahnhofsgebäude auf Burg­ho­fe­ner Grund lag und der Güterschuppen, der Holzlagerplatz und die Gü­ter­glei­se mit der Laderampe sich in der Gemarkung von Schemmern befanden. Gan­ze 50 Me­ter trennten den Bahnhof davon, Bahnhof Schemmern zu hei­ßen, nur weil das Empfangsgebäude auf Burghofener Grund und Boden lag.

Beschwerden über die Trassenführung selbst scheint es nicht gegeben zu ha­ben, aber Schemmerns damaliger Bürgermeister Heinrich Brandau, sowie des­sen Nachfolger Jakob reisten mit ihren Gemeindevertretern mehrmals zum Pla­nungs­bü­ro nach Treysa, um auch das Bahnhofsgebäude nach Schemmern zu bekommen, aber es blieb beim ursprünglichen Plan des »geteilten« Bahn­hofs.

Unter den am Bahnbau beschäftigten Arbeitern befand sich auch der Ur­groß­va­ter des früheren Ortsvorstehers Gerhard Franz aus Burghofen. Dieser wurde in Gottsbüren im Reinhardswald geboren, war in Schemmern hängen ge­blie­ben und hatte während des Bahnbaues dort eingeheiratet. Der weitaus größte Teil der am Bahnbau im Raum Burghofen beschäftigten Arbeiter stellten die Ita­lie­ner. Dieses starke Kontingent an italienischen Arbeitern rührte wohl da­her, weil auch ein Tunnel gebaut werden musste und diese Spezialisten im Tun­nel­bau waren.

Bei den ausländischen Arbeitern am Bahnbau war immer etwas los und in den Gaststätten der Umgebung wurde so mancher »Strauß« ausgespielt. Je mehr Bau­ar­bei­ter kamen, desto mehr Gaststätten und Kantinen gab es in den Dör­fern. Ab 1875 gab es dann auch Kantinen an der Trasse und am Tunnel, die die Arbeiter dort an Ort und Stelle mit Speisen und Getränken versorgten. Aber nicht nur die Wirte profitierten vom Bahnbau, sondern auch andere Hand­wer­ker und Geschäftsleute machten in den Jahren gute Geschäfte. Da sind vor al­lem Schmiede, Wagenbauer, Schneider, Schuster und Fuhrleute zu nen­nen.

Der damalige Pfarrer von Schemmern konnte ein Lied davon singen, dass der Bahn­bau den Menschen im Dorf nicht nur zum Segen gereichte, sondern durch das verschwenderische Leben, das infolge der einsetzenden guten Verdienste nun begann, viele Handwerker in tiefe Verschuldung oder sogar den Ruin ge­trie­ben hatte. Der Pfarrer war seinem mühseligen Amt im Orte, das mit der Be­treu­ung mehrerer »Filialen« verbunden war, die nur über be­schwer­liche Wege zu erreichen waren, nicht gewachsen und hatte sich nach nur 5 Jah­ren in Schem­mern um eine andere leichtere Pfarrstelle bemüht.

Ebenfalls im Jahre 1875 kam es während des Bahnbaues zur Errichtung der ersten Bahnhäuser. Da ist zunächst das Doppelhaus in der Plätsche 5 und 7 zu nennen, das zunächst als Büro und Lager gedient hatte und in denen nach Beendigung der Bauarbeiten Eisenbahner vom Bahnhof Burghofen ge­wohnt hatten.
So wohnte in der Plät­sche 5 zunächst ab dem Jahre 1879 der Bahnwärter Joh. Schneider mit seiner Frau Erna, geb. Heil. Der nächste Bewohner wird schon im Jahre 1882 mit dem Bahnwärter Georg Adam mit seiner Frau Barbara, geb. Schäfer, genannt. Ihm folgte im Jahre 1888 der Bahnwärter Jakob Görke mit seiner Frau Elise, geb. Seibert. Im Jahre 1896 wurde als Wohnungsinhaber der Weichensteller Josef Arke mit seiner Frau Karoline, geb. Münscher, genannt. Ihnen folgte noch im Jahre 1910 Linnenkohl, im Jah­re 1921 Pfeil, im Jahre 1932 Reichmann und im Jahre 1935 folgte noch Jakob Schenk mit Frau Anna, geb. Aschenbrenner. Ob die zuletzt genannten Namen auch Eisenbahner waren, geht aus der Unterlage nicht hervor. Im Jahre 1938 trennte sich die Reichsbahn schließlich durch Verkauf von dem Gebäude.
Im Nebengebäude In der Plät­sche 7 wohnte ab dem Jahre 1879 der Bahn­wär­ter Josef Oppelt mit seiner Frau Marie, geb. Gunkel. Im Jahre 1884 folgte der Weichensteller Wilhelm Pense mit Frau Wilhelmine, geb Beinebach. Im Jahre 1891 war wieder ein Wechsel zu verzeichnen. Für W. Pense kam mit dem Bahnwärter Beuermann und seiner Frau Martha, geb. Ruelberg ein neuer Be­diens­te­ter ins Haus. Diesem folgte dann im Jahre 1903 der Bahnwärter Hub­ner, im Jahre 1912 der Bahnwärter Angersbach, der im Jahre 1922 nach Mörs­hausen an den dortigen Schrankenposten versetzt wurde. Im gleichen Jahr kam mit Karl Geßner und Frau Elise, geb. Trinter ein Nachfolger ins Haus, bei dem es nicht sicher ist, ob er Eisenbahner war, bevor die Reichsbahn das Gebäude im Jahre 1938 anscheinend an August Geßner und seiner Ehefrau Hedwig geb. Siebald veräußert hatte.
Die beiden Gebäude stehen heute noch, sie sind aber nicht mehr als Bahn­haus zu erkennen, da im Laufe der Jahre etliche An- und Umbauten erfolgt sind.
Das dritte Gebäude entstand im Fischbach direkt hinter der Bahnunterführung bei km 69,01. Es wurde vom Gastwirt Münscher als Behelfshaus für eine Kantine während des Bahn- und Tunnelbaues im Jahre 1875 errichtet, wo gleichzeitig ein Materiallager für den Gleis- und Tunnelbau entstand. Nachdem das Grundstück schließlich im Jahre 1890 durch Heinrich Arnecke erworben wurde, entstand dort auch ein Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Als im Jahre 1930 Heinrich Mänz nach noch einer weiteren Veräußerung schließlich das Anwesen erwarb, entstand dann der noch heute gebräuchliche Name für das Gehöft. Seitdem ist daraus der »Mänzer Hof« geworden, da dieser sich bis in die heutige Zeit im Besitz der Familie befindet.

Der Bahnhof Burghofen war einer der alten Bahnhöfe entlang des Ka­no­nen­bahn­ab­schnit­tes zwischen Leinefelde und Treysa und wur­de am 15. Mai 1879 ge­mein­sam mit dem Streckenabschnitt von Waldkappel bis Malsfeld als Bahn­hof 4. Klas­se seiner Bestimmung übergeben. Allerdings war er wohl der klein­ste Bahnhof an diesem Abschnitt und befand sich bei km 68,50 in einer Höhe von 306 Me­ter über NN.

Am Eröffnungstage selbst fuhr der erste Zug von Waldkappel her kommend mor­gens um 6:30 Uhr im Bahnhof Burghofen ein, worauf um 9:30 Uhr der erste Zug aus Richtung Spangenberg folgte.

Die Fertigstellung des Bahnhofsgebäudes lag nicht im Limit und war ebenso wie die Güterrampe zum Zeitpunkt der Streckeneröffnung noch nicht fer­tig ge­stellt. Trotzdem lief der Zugbetrieb an.

Der Bahnhof lag abseits gelegen inmitten eines Umfeldes von kleinsten Dör­fern und hatte daher wirtschaftlich keine größere Bedeutung zu erwarten, nur die Dorfbewohner aus der Umgebung benutzten ihn, um mit der Bahn zu ihrer Ar­beits­stät­te in der Städ­ten Kassel, Eschwege oder Waldkappel zu gelangen, um ihre handwerklich gefertigten Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen beziehungsweise, um dafür Rohmaterialien zu erwerben. Das größ­te Fracht­auf­kommen, das hier verladen wurde, waren land- und forst­wirt­schaft­liche Produkte, die sich schon bald nach der Eröffnung der Strecke als das Rückgrat des Frachtaufkommens am Bahnhof entwickelten. Diese bestanden aus Kartoffeln und Getreide, überwiegend aber wurde am Bahnhof Burghofen Holz verladen. Entladen wurde hier vor allem Kohle, Baumaterialien aller Art und gelegentlich eine Maschine, Ersatzteile und Stückgut.

Mit dem Bahnhof erhielten die Dörfer Schemmern und Burghofen den An­schluss an die große weite Welt.
Dieser wurde vor allem montags stark von Arbeitern frequentiert, die mit der Bahn nun ihren Arbeitsplatz in Kassel oder Eschwege leichter und schneller er­rei­chen konnten. Da die Arbeiter über die Woche überwiegend am Arbeitsort über­nach­te­ten, war der Betrieb am Bahnhof an den restlichen Werktagen ver­gleichs­wei­se gering.

Am Bahnhof gab es direkt vor dem Empfangsgebäude bei km 68,5 einen 102 Me­ter langen Bahnsteig, während der Zwischenbahnsteig etwas weiter nach rechts in der Mitte zwischen dem Streckengleis und dem Be­geg­nungs­gleis zwi­schen km 68,45 und km 68,57 gelegen, sogar eine Länge von 115 Me­tern besaß. Auf dem Zwischenbahnsteig befand sich zumindest noch Ende der 1920er Jahre ein Postenhäuschen, wie auf der Postkarte ersichtlich, zu dem auch vom Empfangsgebäude her eine Fernsprechleitung hin führt. Bereits bei km 68,28 trennte sich das Streckengleis vom Begegnungsgleis noch vor dem Bahnhof mittels der ersten Weiche. Bei km 68,45 befand sich am Ende der Bahn­hofs­auf­fahrt der Bahnhofsgarten, an den sich das Spritzenhaus mit den Stallungen anschloss, während das Toilettenhaus direkt am Anfang des Haus­bahn­steiges stand. In diesem Gebäude soll auch die Feuerwehrspritze un­ter­ge­bracht gewesen sein. Die Grundmauern davon sind bis heute zu sehen. In der Mitte der Zufahrtsstraße befand sich auch die mit einer Laterne versehene Müllgrube und vor den Stallungen stand zum Bahnsteig hin das Gartenhaus. Bei km 68,55 ging die erste Bahnhofsweiche vom Streckengleis nach links zu den beiden Gütergleisen, den Glei­sen 3 und 4, ab, um mit einer weiteren Wei­che in den Gütergleisen bei km 68,64 einzumünden. Das Gleis 3 endete vor dem Güterschuppen, das Gleis 4 an der Freiladerampe bei km 68,8. Auf Gleis 3 stand nur wenige Meter hinter dem Güterschuppen das Lademaß vom Bahnhof Burghofen. Hinter der Gemarkungsgrenze zwischen Burghofen und Schemmern bei km 68,71 ging von Gleis 4 bei km 68,73 eine weitere Weiche ab, die bei km 68,85 hinter der Güterrampe wieder in das Streckengleis ein­mün­dete. Bei km 68,84 mündete das Be­geg­nungs­gleis 2 wieder in das Strec­kengleis in Richtung Spangenberg ein.

Aus den ersten Betriebsjahren blieb eine Anekdote aus der Umgebung des Bahnhofs erhalten: In der Zeit, als hier die ersten Züge fuhren, hat es eine längere Schlechtwetter-Phase gegeben. Wie heutzutage die Flugzeuge und Ra­ke­ten Schuld am schlechten Wetter sind, waren es damals die dampfenden und zischenden Lokomotiven. Ein Bauer aus dem Schemmergrund, der sich Sor­ge um seine Ernte gemacht hat, soll gesagt haben: »Des kimmet aales nur vom verreckten Damp, deen de neie Isenboone in de Looft mecht.«

Im Bahnhofsgebäude von Burghofen gab es auch eine Bahnhofsgaststätte, die aber schon sehr früh, bereits kurz vor Beginn des Ersten Welt­kriegs einging, ver­mut­lich aus Mangel an Gästen. Sie befand sich vermutlich im linken Trakt des Empfangsgebäudes, in dessen Räumen in späteren Jahren Dienst­woh­nun­gen untergebracht waren.

Nach der Betriebseröffnung des Bahnhofes Burghofen gab es zunächst nur ei­ne Straßenverbindung von Burghofen her zum Bahnhof, die Bauern und Hand­wer­ker aus Schemmern und den umliegenden Orten mussten ihre Fracht über Burg­hofen oder den Fischbach zum Bahnhof bringen. Für die Bahnreisenden von dort gab es an der Flurgrenze zwischen Schemmern und Burghofen allerdings einen Trampelpfad. Diesem Zustand wurde erst im Jahre 1904 ein En­de gesetzt, als endlich von Schemmern her eine Straße zum Bahnhof ge­baut wurde, die im wesentlichem dem alten Trampelpfad folgte und die mit der Straße, die von Burghofen her zum Bahnhof führte, verbunden wurde. Da­rauf­hin wurde im Jahre 1906 schließlich die herrliche Ahornallee an der Bahn­hof­straße angepflanzt, die bis heute existiert.

Zugkreuzungen gab es am Bahnhof Burghofen vor dem Ersten Welt­krieg um das Jahr 1910 herum etwa vier bis fünfmal am Tag.

Da die Dorfbewohner, die damals noch viele Kinder hatten, waren die Eltern in der Zeit froh, wenn sie einige ihrer Töchter nach Kassel oder in andere Städte als Hausmädchen »in Stellung« geben konnten. Da diese Mädchen durch ihre Lehrherren auch Unterricht in Sprache und Anstand erhielten, redeten diese bald nur noch hochdeutsch und nicht mehr das ortsübliche Plattdeutsch. Daher fühlten sich diese Mädchen, denen aus dem Ort haushoch überlegen.

In diesem Zusammenhang wird in Schemmern eine Anekdote erzählt, bei der der damalige Bahnhofsvorsteher Klebe eine Rolle spielt. Da heißt es:
Es war an einem Samstag-Nachmittag, als ein in Stellung befindliches Mäd­chen mit dem 1/2 4 Uhr-Zug aus Richtung Waldkappel kommend, am Bahnhof Burghofen ausstieg, während der Gegenzug aus Spangenberg bereits auf dem Überholgleis wartete. Nachdem das Mädchen den Bahnhofsvorsteher in ein län­ge­res Gespräch verwickelt hatte, stellte dieser fest, dass beide Züge noch im Bahnhof standen. Daraufhin schnappte er, diensteifrig wie er war, seine Kelle und sagte zu ihr mit der Stimme eines Be­am­ten: »Warte einen Moment, ich muss erst mal einen fahren lassen.« Worauf er zum Bahnsteig eilte.
Das Mädchen war sichtlich entsetzt über die ungepflegte Aussprache des Beamten. Daraufhin verließ sie die Nase rümpfend den ungehobelten Klotz und begab sich auf den Weg zu ihren Eltern.

Nachdem im August 1914 der Erste Welt­krieg ausgebrochen war, wurde ü­ber­all im Land die Latrinenparole verbreitet, dass sich etwa 25 fran­zö­si­sche Autos im Land befänden, dessen Fahrer Geld nach Russland bringen sollten. Da­rauf­hin befahl der Landrat des Kreises Eschwege, jedes verdächtige Fahrzeug an­zu­hal­ten und siehe da, eines Tages kam tatsächlich auf der Straße von Wald­kap­pel her ein solches Automobil ohne Nummernschild angefahren. Sofort wur­de die Straße unmittelbar vor dem Dorfeingang von Schemmern mit einem Ern­te­wagen versperrt und die Insassen des Kraftfahrzeuges kontrolliert, die aus einem Hauptmann und zwei gemeinen Soldaten bestanden. Obwohl sich der Hauptmann ausweisen konnte, glaubte man, der Ausweis sei gefälscht. Als es dann beinahe zu tätlichen Ausschreitungen zwischen den beiden Parteien gekommen war, wurde der Gendarm aus Waldkappel hinzu zitiert, der die An­ge­le­gen­heit dann aufklärte. Der Königliche Landrat war zufällig ebenfalls vor Ort und wollte gerade die Bahnwachen kontrollieren, als sich der Hauptmann bei ihm über das Verhalten der Bevölkerung beschweren wollte. Darauf soll der Landrat ihm geantwortet haben, dass er, der Hauptmann, die Situation durch sein Auftreten und Benehmen gegenüber den Leuten selbst herbeigeführt hät­te. Außer dem Hauptmann wurden auch noch etliche harmlose Landstreicher ein Opfer dieser Latrinenparole.

Am Ortseingang von Schemmern standen zeitweilig zwei Wachposten mit ge­la­de­nen Gewehren. Dabei sollen einige dieser Gesellen unschuldig ums Leben ge­kom­men sein. Dabei hatte auch das Kirchspiel Schemmern ein Opfer zu beklagen, wobei der aus Eltmannsee stammende 19-jährige Joh. Klaus um sein junges Leben gebracht wurde. Er war gerade auf Wache an einer Ei­sen­bahn­brüc­ke bei Berneburg an der Bebra-Göttinger Eisenbahn, während sein Kol­le­ge aus Diemerode zum Spaß auf ihn anlegte und ihn tödlich traf, als sich da­bei ein Schuss gelöst hatte.

Die französische Standuhr aus dem ehemaligen Museum im Bahnhof Esch­wege-West, die in den Jahren 1879/1880 zur Grundausstattung aller Ka­no­nen­bahn­bahn­höfe gehört hatte, die heute in einem Eschweger Depot aufbewahrt wird und auf einen neuen Ausstellungsplatz in einem der Eschweger Mu­se­ums­land­schaft zugeordneten neuen Eisenbahnmuseum wartet, stammt aus dem Bahnhof Burghofen.
Sie hat bis zur Stilllegung der Bahn hier stets zeitgenau ihren Dienst versehen. Diese Uhr war mittels eines Gestänges und einem komplizierten Mechanismus, von dem auch noch Teile erhalten sind, direkt mit der außen angebrachten Bahn­hofs­uhr verbunden. Daher konnten beide Zifferblätter stets exakt die gleiche Zeit anzeigen. Diese Uhr ist seitdem leider verschollen.

Im Jahre 1929 als Bahnhof 4. Klas­se eingestuft, verfügte der Bahn­hof Burg­hofen als kleinster Bahnhof an der Strecke nur über ein geringes Ver­kehrs­auf­kom­men, während Bahnhöfe wie Waldkappel oder Spangenberg, die ein we­sent­lich höheres Frachtaufkommen besaßen und über ein größeres Fahr­gast­po­ten­ti­al verfügten, als solche dritter Klasse eingestuft wurden und di­ese da­her auch mit einem höheren Personalbestand ausgestattet waren.

Anfang der 1930er Jahre ließ der Burghofener Gastwirt Karl Borschel eine Post­kar­te erstellen, auf der nicht nur die Gastwirtschaft, sondern auch eine Dorf­an­sicht sowie der Bahnhof abgebildet wurde. Auf diesem Bild sind eine gan­ze Reihe heute nicht mehr bekannte Details zu erkennen.

Am 14. No­vem­ber 1934 wurden am Bahnhof Burghofen 192 Zent­ner Kar­tof­feln ver­la­den, die für das Deutsche Winterhilfswerk gespendet wor­den waren.
Im Jahre 1937 wurde Heinrich Knierim zum Bahnhofsvorsteher von Burghofen er­nannt. Am Telefon meldete er sich immer mit einem tiefen kehligen lang ge­zo­ge­nen »Kniiie-riiiem mit Knie wie Knie und Riem wie Riemen«. In seiner Frei­zeit war er Bienenzüchter und so hatte er seine Bienenstöcke offenbar auf ei­ner Wiese zwischen dem Überholgleis und dem Waldrand stehen, die mit zum Gelände des Bahnhofes gehörte. Die Buchsbäumchen, die vor den Bie­nen­stöc­ken standen, hatte er akribisch zu dem Spruch in Form gebracht: »Volk flieg« Heute lässt sich nicht mehr sagen, ob dieser Spruch nicht auch etwas ironisch auf das Zeitgeschehen zu Beginn des Zweiten Welt­kriegs gemünzt war.

Schon lange hatte die Bevölkerung der Orte an der Kanonenbahn es geahnt und auch befürchtet, mit dem 26. Au­gust 1939 wurde es zur Gewissheit. Die ers­ten 17 voll ausgebildeten Soldaten aus Schemmern bekamen ihren Be­scheid, sich bei ihrer Einheit zu melden. In der folgenden Nacht wurde dann in ei­ner sprichwörtlichen Nacht- und Nebel-Aktion in Schemmern die Shell-Tank­stel­le beschlagnahmt und sofort darauf entleert.

Am Tag darauf, den 27. Au­gust, trafen auf Leiterwagen die ersten Flücht­lings­fa­mi­lien in Schemmern ein, die aus Windsberg in der Saarpfalz, das heute Rhein­land-Pfalz liegt, kamen, einem Ort im damaligen Saarpfälzer Grenz­ge­biet. Die 162 Per­so­nen waren von dort evakuiert worden und mit einem Trans­port nach Waldkappel gelangt, wo sie gemeinsam mit Einwohnern aus Ens­heim entladen worden waren, bevor sie nach Schemmern weiter geleitet wur­den.

Während die Orte Schemmern und Burghofen die Zeit des 2. Welt­kriegs relativ un­be­scha­det überstanden hatten, kam in der Phase des Vormarsches der a­me­ri­ka­ni­schen Streitkräfte um den 1. A­pril 1945 die ganze Gewalt des Krie­ges über die beiden Dörfer herein. Schemmern war voll mit deut­schen Sol­da­ten belegt, deren Hauptmann der Infanterie nichts Besseres zu tun hatte, als sei­ne Akten im Badeofen des Pfarrhauses zu vernichten. In der Nacht vom 29. auf Kar­frei­tag, den 30. März 1945 verließen die auf dem Rückzug be­find­lichen deutschen Soldaten fluchtartig den Ort, da die Amerikaner bereits an der Stölzinger Höhe und am Eisberg in der Nähe des Eisenbahntunnels um die Ü­ber­fahrt des Gebirges kämpften. An der Stölzinger Höhe hatten die deutsche Wehrmacht gemeinsam mit RAD-Männern Panzersperren angelegt, die dann vergeblich versucht hatten, die Amerikaner dort aufzuhalten. Es kam zu einem kur­zen Gefecht, bei dem die beiden Orte Gehau und Eltmannsee beinahe zer­stört worden waren. Die Amerikaner machten kurzen Prozess, schossen die deut­schen Panzer nebst Besatzung sowie die RAD-Männer einfach zu­sam­men, bevor sie ihren Weg ins Tal der Schemmer fortsetzten. Dabei trieben die Amerikaner versprengte deutsche Landser vor sich her, die sich zu Fuß oder mit Pferdewagen auf der Flucht befanden. Von Spangenberg her durchquerte am Mittag noch ein langer Zug mit russischen Kriegsgefangenen den Ort. Un­ter der Dorflinde und auf dem Hof von der Schiede Werner wurden die Ge­fan­ge­nen noch einmal aus Feldküchen verpflegt. Im Dorf standen an allen mög­li­chen und un­mög­li­chen Stellen verlassene Munitionsfahrzeuge sowie Pro­vian­twa­gen herum, während feindliche Flugzeuge ständig über dem Ort kreisten. Schließ­lich luden diese Flugzeuge ihre Bombenlast über dem Ort ab, bei dem et­liche Gebäude total zerstört wurden. Das Chaos im Ort war perfekt, deutsche Sol­daten und russische Kriegsgefangene rannten schutz­su­chend planlos um­her, während der Ortspfarrer Paul Riemann noch Akten und Kirchenbücher aus dem Pfarrhaus in Sicherheit brachte. Es war wie ein Wunder, dass bei dem An­griff keine Verletzten oder sogar Tote zu beklagen waren.

Als Pfarrer Riemann am späten Samstagnachmittag des 31. März in den Gar­ten des Pfarrhauses ging, sah er am östlichen Horizont einen riesigen Rauch­pilz emporsteigen, worauf er sich keinen rechten Reim machen konnte. Erst spä­ter erfuhr er, was es mit dem Rauchpilz auf sich hatte und dass es sich da­bei um die Detonation eines Munitionszuges und die totale Zerstörung des Waldkappeler Bahnhofes gehandelt hatte. Soldaten hatten berichtet, dass sie im Krieg viele Trümmerstätten gesehen hätten, aber dass ihnen während des gan­zen Kriegsverlaufs keine so radikale Vernichtung unter gekommen wäre.

Am Ostersonntag, den 1. A­pril, wurden Vorbereitungen getroffen, um auf dem Kirch­turm und an weiteren Stellen von Schemmern weiße Fahnen aufhängen zu können. Doch da kam erneut ein Tiefflieger und belegte den Ort mit Salven aus seinem MG, wobei erneut ein Hof in Flammen aufging. Dabei hatten die verbliebenen Männer im Ort noch genug damit zu tun, die Brände vom Vortag zu löschen bzw. in Schach zu halten. In der Zwischenzeit hatten die Dorf­be­woh­ner überall an den Hausgiebeln und auch auf dem Kirchturm weiße Fah­nen angebracht.

Am Ostermontag, den 2. A­pril 1945 konnten ebenso wie am Ostersonntag kei­ner­lei Gottesdienste abgehalten werden, da die Bewohner von Schemmern wich­ti­ge­re Dinge im Kopf hatten. Lediglich mehrere Taufen, zumeist Haus­tau­fen, konnten in Schemmern abgehalten werden. Als Pfarrer Riemann sich ge­gen 15 Uhr von der letzten Haustaufe auf den Heimweg machte, waren bereits die ersten amerikanischen Panzerspitzen in den Ort eingefahren und die Fah­rer der Jeeps legten gerade an der noch brennenden Schmiede eine Kaf­fee­pau­se ein, wobei sie das Wasser über den noch brennenden Balken des Ge­bäu­des zum Kochen gebracht hatten. Vor dem Ortseingang hatte der Re­ni­ten­ten­pfar­rer Schlunk die amerikanischen Truppen darüber informiert, wie sich die Be­wohner gegenüber Kriegsgefangenen, Nichtnazis und anderen von offizieller Seite her nicht beliebten Menschen verhalten hatten.

Wahrscheinlich dadurch wurde der Ort im Gegensatz zu Burghofen und Frie­men vorläufig nicht besetzt, die jungen Frauen brauchten sich nicht vor den A­me­ri­ka­nern zu verstecken und es mussten auch keine Häuser geräumt wer­den. Die Truppen durchfuhren Schemmern einfach nur und das geschah ohne Un­ter­bre­chung Tag und Nacht von der Stölzinger Höhe her. Somit kann davon ausgegangen werden, dass auch der Bahnhof Burghofen noch am gleichen Nach­mittag spätestens gegen 16:30 Uhr von amerikanischen Truppen besetzt wor­den war.
Weiter zu Teil 69: Das Bahnwärterhaus im Fischbach

Autor: Hermann Josef Friske

Teil 70:

Die Unterführung bei km 69,45;<br />fotografiert im Sommer 2004 von Hermann Josef Friske

Der preußische Wagenkasten am Schrankenposten im Fischbach;<br />fotografiert am 4. August 2007 von Hermann Josef Friske

Das Postenwohnhaus im Fischbach;<br />fotografiert am 22. Januar 2005 von Hermann Josef Friske

Kurz vor dem Bischofferöder Tunnel;<br />fotografiert am 27. Juni 2012 von Hermann Josef Friske

Das Bahnwärterhaus im Fischbach

Hinter dem Bahnhof Burghofen führt die Strecke nach der Unterführung zum Mänzer Hof zunächst bis zum km 69,45 fast geradeaus weiter, wo ein Bachlauf unter der Kanonenbahn-Trasse hindurch führt. Bemerkenswert ist die hohe bauliche Qualität dieser kleinen Unterführung. Auf der Südseite zeigt der obere Schlussstein die Jahreszahl 1877, wie es an vielen anderen Bauwerken entlang der Bahn zwischen Leinefelde und Treysa auch der Fall ist, während sich das Portal an der Nordseite bereits stark verwittert zeigt. Hier muss ursprünglich auch eine Inschrift oder Jahreszahl vorhanden gewesen sein, Reste hiervon lassen sich, wenn auch mit Schwierigkeiten, noch erahnen. Während das Portal an der Südseite aus Kalkstein-Gemäuer besteht, wurde das Nordportal aus Sandstein gefertigt.

Die Trasse selbst wurde auf der Strecke zum Tunnel hin so gründlich zurück gebaut, dass sogar der Schotter entfernt wurde und auch keine Kilometersteine mehr zu finden sind. Das Ergebnis ist unter anderen, eine Viehweide mitten auf der Trasse. Teilweise wurde auch ein Feldweg daraus.

Da der Oberbau zwischen dem Bahnhof Burghofen und dem Bischofferöder Tunnel, der auch Eisberg-Tunnel genannt wird, bereits in den 1960er Jahren total marode war, (daher die Rumpelstrecke) wurde in den letzten Betriebsjahrenetwa jede 10. Schwel­le erneuert und eine Langsamfahrstrecke mit einer Befahrbarkeit von 10 km/h eingerichtet. Somit konnte die Strecke wenigstens noch befahren werden.

Bei km 70,2 im Fischbachtal stoßen wir auf einen ehemaligen Bahnübergang, der in Anbetracht des dahinter beginnenden Tunnel-Einschnitts und dem in nur etwa 300 Me­ter entfernten Ostportal des Bischofferöder Tunnels mit einem Strecken- und Schrankenposten versehen war. Das Gebäude des Postens wurde in der Zwischenzeit zwar etwas verändert, ist aber noch gut erhalten und dient heute einer privaten Nutzung als Wochenendhaus.

Auf diesem Grundstück befindet sich noch eine Rarität aus vergangenen Zeiten. Als Schuppen für Holz und ähnliche Dinge fungiert der Kasten von einem alten preußischen Güterwaggon, der nur wenige Meter vor dem Bahnübergang unmittelbar neben der alten Bahntrasse sein Dasein fristet. Vermutlich steht er bereits seit den 1920er Jahren dort und diente damals vermutlich als Kohlenbunker und Geräteschuppen. Ein unleserlicher Kilometerstein steht ebenfalls noch dort, wahrscheinlich der Stein km 70,1.

Dann folgt bei km 70,2 der ehemalige Schrankenposten, den der letzte Schrankenwärter Christian Hubenthal im Laufe der Jahre, in denen er am Posten seinen Dienst leistete, von der DB erworben hatte und bei seinem Wegzug nach Rockensüß im Jahre 1975 an Herrn Benno Gaisendrees aus Gütersloh weiter verkauft hatte.

Das Gebäude wurde im Jahre 1877 von der Preußischen Eisenbahnverwaltung erbaut und im November des gleichen Jahres durch Zimmermeister Johannes Franz aus Schemmern gerichtet. Das Gebäude diente während des Bahnbaues zunächst als Kantine und Lager für den Tunnelbau, bevor es nach der Eröffnung der Strecke seinem eigentlichen Sinn als Schrankenposten zugeführt wurde.

Im Laufe der Jahre versahen folgende Bahnwärter ihren Dienst an der Schranke, die meisten davon hatten auch mit ihrer Familie im Postengebäude gewohnt:
Von 1878 bis 1882 bediente Georg Adam die Schranke am Posten Fischbach. Sein Nachfolger war von 1882 bis 1891 Joh. Schneider. Zwischen 1891 und 1896 war Friedrich Weigelt dort tätig. Noch im Jahre 1896 folgte Hermann Ahlheit, der den Posten bis 1901 versorgte. Im Jahre 1901 kam dann Wilhelm Beuermann an die Reihe, der es bis ins Jahr 1912 dort aushielt. Dann folgte zwischen 1912 und 1923 ein Herr Emme. der Vorname ist leider unbekannt. Im Jahre 1923 war dann Konrad Kalusok an der Reihe, der für 19 Jahre auch während des 2. Welt­kriegs die Schranke bediente bis Ende des Jahres 1952, bis im Jahre 1953 mit Christian Hubenthal der letzte Schrankenwärter im Fischbach seinen Dienst antrat, der bis zur Stilllegung der Strecke hier Dienst geschoben hatte und mit seiner Familie auch im Postengebäude gewohnt hatte.

In den letzten Jahren wurden die Schranken laut Aussage von Lokführern nicht mehr geschlossen, weil dort kein Durchgangsverkehr herrschte und am Bahnübergang nur ein Wirtschaftsweg überquert wurde. Die Schranken wurden schließlich Ende der 1960er Jahre, da sie mittlerweile nutzlos geworden waren, abgebaut und durch Warnschilder ersetzt. Vermutlich zur gleichen Zeit wurde auch das Bahntelefon im Gebäude abgebaut.

Doch halt, einen Bahnwärter haben wir aber noch vergessen, das war Friedrich Niemeyer, der am 26. Ju­li 1879 in Bischofferode die aus dem Ort stammende Katharina Ullrich geheiratet hatte. Friedrich Niemeyer, der aus Trendelburg im Kreis Hofgeismar stammte, hatte vorher beim Bahn- und Tunnelbau an der Strecke mitgearbeitet und wurde nach der Strec­ken­er­öff­nung als Hilfsbahnwärter für 1,60 Mark am Tag in den Dienst der Bahn übernommen. Weil er mit diesem Gehalt keine großen Sprünge machen konnte, war er wie viele andere Eisenbahner auch, auf das Halten von Vieh angewiesen. So dauerte es nicht lange, und in seinem Stall befanden sich Ziegen, Schweine, Hühner, Gänse und sogar eine Kuh. Das Futter für das Vieh brachte er von den saftigen Wiesen am Fischbach mit, das entweder er selbst oder aber seine Frau Katharina mit der Kötze durch den Tunnel nach Bischofferode transportiert hatte. Da die Arbeit als Hilfsbahnwärter bei den wenigen Zügen pro Tag anscheinend den Tagesablauf nicht ausgefüllt hatte, zähmte sich Niemeyer ein Reh und einen Vogel, damit er am Posten nicht mehr so einsam war. Friedrich Niemeyer wurde nach etwa 5-jähriger Tätigkeit am Posten im Fischbach schließlich am 1. Juli 1884 zum Königlich Preußischen Weichensteller befördert und bekam nun ein Jahresgehalt in Höhe von 600 Mark. Nach weiteren 3 Jahren am Posten wurde er per 1. Ju­li 1887 als Königlich Preußischer Weichensteller II. Klas­se zum Bahnhof Bebra versetzt. Durch seine Versetzung nach Bebra musste Friedrich Niemeyer auch von Bischofferode nach Bebra umziehen. Die Folge war, dass der Viehbestand verkauft werden musste, nur die Ziege durfte mit. Der Umzug selbst wurde mit einem Güterwagen von Spangenberg aus durchgeführt, wo der Hausrat und das Brennholz verladen wurden. Da es eine Weile gedauert hat, bis der Waggon mit dem Hausstand beladen war und der nächste Güterzug in Richtung Waldkappel fuhr, wurde die Ziege mit dem Futter später in Burghofen zugeladen. Da die Ziege aber einfach nicht von Bischofferode bis nach Burghofen laufen wollte, musste Friedrich Niemeyer das Tier schließlich einen Großteil der Strecke tragen. Vom Bahnhof Burghofen aus begleitete Niemeyer den Waggon bis zum Bahnhof in Bebra, während seine Frau mit den Kindern noch zwei Nächte bei deren Eltern verbrachte. Am Tag ihrer Abreise fuhr sie dann mit den Kindern mit dem Personenzug von Bischofferode über Malsfeld nach Bebra. Die neue Wohnung befand sich in Weiterode in einem vierstöckigen Backsteinbau, in dem sich vier Wohnungen befanden, die alle von Eisenbahner-Familien bewohnt wurden. Niemeyer wurde noch im Jahre 1901 zum Königlich Preußischen Weichensteller I. Klasse befördert, bevor er nur wenige Jahre nach seiner Pensionierung am 17. Ja­nu­ar 1912 verstarb. Sein erstes Kind Karl bekam nach der Geburt die Nottaufe und wurde nur 10 Ta­ge alt. Er wurde im Juni 1880 in Schemmern begraben, vermutlich weil sich die Niemeyer zustehende Dienstwohnung in der Gemarkung Schemmern befand.

Hinter dem einstigen Bahnübergang im Fischbach plätschert nur 50 Me­ter weiter in Richtung Tunnel bei km 70,25 ein Bachlauf über eine künstlich angelegte Kaskade zur Trasse herunter. Ob das früher die Wasserversorgung für das Wohnhaus vom Posten war? Hinter dem Bachlauf ist der Trassenverlauf anfangs noch gut begehbar und das Gleis noch nachvollziehbar, je tiefer man jedoch in den ³Dschungel« zum Tunnel hin vordringt, desto dichter wird das Gestrüpp. Etliche umgestürzte Bäume sind auch dabei.

Schließlich wird unsere Mühe aber doch noch belohnt. Nach etwa weiteren 250 Me­tern wird das kunstvoll gestaltete Ostportal des Bischofferöder Tunnels, der auch Eisbergtunnel genannt wird, bei km 70,5 sichtbar.
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Autor: Hermann Josef Friske

Teil 71:

Das Ostportal des Bischofferöder Tunnels;<br />fotografiert von Hermann Josef Friske am 22. Januar 2005

Blick in das Ostportal des Bischofferödder Tunnels;<br />fotografiert von Hermann Josef Friske am 27. Juni 2012

Das Westportal des Bischofferöder Tunnels;<br />fotografiert im Sommer 2005 von Hermann Josef Friske

Das Westportal des Bischofferöder Tunnels von der Seite;<br />fotografiert von Hermann Josef Friske am 15. April 2007

Die Kaskade des seitlichen Bachlaufs am Westportal des Bischofferöder Tunnels;<br />fotografiert im Sommer 2005 von Hermann Josef Friske

Der Bahnhof Burghofen nach 1945

Der Anstieg zum Bischofferöder Tunnel, der im Volksmund auch Eisbergtunnel genannt wird, als höchstem Punkt westlich der Werra erfolgt auf lang ge­streck­ten hohen Dämmen, die bereits hinter Waldkappel ihren Anfang nehmen und erst kurz vor dem Tunnel in einige Einschnitte übergehen. Der Eisberg selbst erhebt sich mit seinem höchsten Punkt bis in eine Höhe von 583 Me­tern über NN mit der Wasserscheide zwischen Werra und Fulda, während der Tunnel diesen Teil des Stölzinger Gebirges als Teil des Kurhessischen Berglandes bereits in einer Höhe von 321 Me­tern über NN durchquert.

Über die Länge des Tunnels, der bei km 70,5 beginnt, streiten sich die Ge­lehr­ten, die offizielle Länge beträgt nur 1.503 Me­ter, andere Quellen sprechen aber von 1.508 Me­ter, laut eines Artikels von J. Lehwald, Die Tunnelbauten der Strecke Nordhausen-Wetzlar, erschienen in der Zeitschrift für Bauwesen, Jahrgang 1880, beträgt die Tunnellänge lediglich 1.500,6 Me­ter.

Das Gebirge im Tunnel besteht aus an der Luft schnell verwitterndem Bunt­sand­stein mit einzelnen wetterbeständigen Schichten, die noch zur Hin­ter­maue­rung Verwendung fanden. An einer Stelle war der Sandstein auf eine Län­ge von 9 Me­tern durch eine mit Ton vermischte Sandschicht von be­deu­ten­der Mächtigkeit unterbrochen. Durch den größtenteils aus Buntsandstein be­ste­hen­den Gebirgszug entstanden beim Bau nur wenig Probleme. Das 9 Me­ter lange Sohlgewölbe besteht aus rau bearbeiteten Sandsteinquadern.

Die Widerlager und das Gewölbe bestehen aus Bruchstein-Mauerwerk mit ham­mer­ge­recht bearbeiteten Verblendsteinen, sogenannte Moellons, und da­zwi­schen in 1 Me­ter bis 1,30 Me­ter Abständen aus durchgehenden Qua­der­schich­ten.

Die Baukosten des Tunnels, der übrigens der drittteuerste am ganzen Strec­ken­ab­schnitt war, betrugen 2.145.900 Mark, wovon die beiden Portale allein den Betrag von 23.000 Mark verschlangen. Für den laufenden Tunnel-Meter er­rech­net sich somit ein Betrag von 1.415 Mark. Damit wurde der Kos­ten­vor­an­schlag für den Tunnel sogar noch unterschritten.

Der Tunnel selbst steigt von den Endportalen her zur Mitte hin leicht an und ist leicht gekrümmt, so dass man nicht nur wegen seiner Länge das jeweils an­de­re Ende nicht sehen kann.

Der Baubeginn des Tunnels war 1876, also ein Jahr später als beim Küll­sted­ter- und dem Friedatunnel, die bereits im Jahre 1875 begonnen wurden, wäh­rend der Bischofferöder Tunnel im Herbst 1876 von beiden Seiten angestochen wur­de und schließlich im November 1878 vollendet werden konnte. Auf das Datum der Fertigstellung weist wahrscheinlich auch die Inschrift „gebaut 1878“ am Westportal des Tunnels hin.

Der Bauunternehmer des Tunnelbauloses war ein Herr Michel (Vorname un­be­kannt), der aus Bayern kam. Der Tunnelbau entstand auch hier unter der Mit­wir­kung von italienischen Gastarbeitern aus Südtirol, wie fast überall entlang des Kanonenbahn-Abschnitts, die damals als Spezialisten im Tunnelbau gal­ten. Außerdem fanden an der Baustelle noch Polen, Tschechen, Kroaten und so­wie auch Deutsche eine Anstellung.

Auch hier entstanden teilweise ab dem Jahre 1875 in der Nähe der Tun­nel­ein­gän­ge Baracken mit Kantinen, wie am späteren Schrankenposten im Fisch­bach an der Ostseite oder auch im westlichen Einschnitt vor Bi­schof­fe­ro­de. Auf der Burghofener Seite waren es folgende Wirte, die beim Tunnelbau Gast­stät­ten betrieben:
Burghard Beck aus Mönchhosbach, Heinrich Ebert, Friedrich Schneider, Ernst Most, die ihre Kantinen oder Gaststätten schon in 1875 eröffnet hatten. Im Jahre 1876 folgte noch der Mühlenbesitzer Reinhard aus Waldkappel und im Jahre 1877 noch der Gastwirt Münscher als erster Bauherr auf dem Arnecke-Mänzen Hof im Fischbach.

Die gewaltigen Erdmassen aus dem Tunnelinneren, die beim Vorantrieb des Tunnels entstanden, mussten per Hand oder mit Pferden bespannten Loren auf Feldbahngleisen aus der Röhre heraus geschafft werden und wurden beim westlichen Vortrieb an einer Stelle nördlich von Bischofferode deponiert, die noch heute den Namen „Auf der Kippe“ trägt.

Die beiden Tunnelportale sind wie bei allen langen Kanonenbahn-Tunneln recht kunstvoll gearbeitet, das Ostportal nur mit einigem Zierrat, während hier das Westportal mit Türmchen und der Jahreszahl 1878 geschmückt ist. Sämtliche Tunnelportale entlang der Kanonenbahn zwischen Berlin und Metz ähneln einander, diese sind jedoch trotz vieler Gemeinsamkeiten alle individuell gestaltet worden. Während das Westportal in etwa so ausgeführt wurde, wie der ursprüngliche Plan es auch vorsah, hatte man bei der Errichtung des Ostportals nur wenige Details so ausgeführt, wie es auf den damaligen Plänen zu sehen war. Ursprünglich sollte das Ostportal an den beiden Seitenteilen auch mit Zinnen versehen werden und an der Portalfront sollten über den Ecken kleine Türmchen die Blicke auf sich ziehen. Außerdem wurden von den drei vorgesehenen „Schießscharten“ in den Seitenmauern vermutlich mangels Platz nur zwei ausgeführt. Über die änderungen beim Bau kann man nur Vermutungen anstellen. Möglich wäre, dass der Bau unter Zeitdruck stand, aber auch die Überschreitung des vorgesehenen Etats für die Portale wäre nicht auszuschließen.

Wenn der Tunnel reden könnte, würde er aus seiner rund 100-jährigen Ge­schich­te, in der die Strecke in Betrieb war, viel zu erzählen haben:
Da war zum Beispiel Katharina Niemeyer aus Bischofferode, die im Jahre 1880 Futter von den saftigen Wiesen im Fischbach hinter dem östlichen Ende des Tunnels mit der Kiepe regelmäßig Futter für das Vieh geholt hatte, wozu sie immer den Weg durch den Tunnel nahm, obwohl es verboten war. Auf einem ihrer Unternehmungen wurde sie vom Bahnmeister erwischt, der gerade mit einer Draisine durch den Tunnel fuhr, aber er ließ Gnade vor Recht ergehen und ließ Frau Niemeyer, wahrscheinlich nach einer gehörigen Gardinenpredigt, ihren langen Weg auf der Draisine fortsetzen.

Im Jahre 1914 kam kurz nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges der Befehl, den Tunnel und die sonstigen Bahnanlagen im Fischbach und den Bahnhof Burghofen zu bewachen, weil die Obrigkeit Angst hatte, dass Spione den Aufmarsch der Deutschen Truppen nach Westen verhindern könnten. Daher muss­ten trotz der Erntearbeiten in Burghofen, Schemmern und den Nach­bar­dör­fern, die gerade im vollen Gange waren, zwischen 15 und 25 Män­ner ab­kom­man­diert werden, um die Bahn zu bewachen. Die dafür erforderlichen Ge­weh­re erhielten sie vom Kriegerverein in Allendorf an der Werra. Nach Be­en­di­gung des Aufmarsches wurden sämtliche Wachen wieder abgezogen, nur die Tunnelwache musste noch bleiben. Diese aber wurden dann nicht mehr von Männern aus den umliegenden Orten, sondern von vier Korporalschaften des Infanterie-Regimentes 167 aus Eschwege übernommen. Diese Mannschaften hat­ten zunächst ihr Quartier im Gemeindehaus von Schemmern genommen, später kampierten sie aber in Burghofen. Sämtliche Wachen wurden schließ­lich im Dezember 1914 abgezogen und gänzlich aufgehoben, da sich die Angst vor Anschlägen auf Tunnel und Bahnanlagen nicht bewahrheitet hatte.

Da man beim Bau der Kanonenbahntunnel Mitte der 1970er Jahre des 19. Jahrhunderts in Deutschland noch keine große Erfahrung im Tunnelbau besaß und auch der Pfusch am Bau grassierte, siehe auch Friedatunnel, musste auch dem Bischofferöder Tunnel von Anfang an große Aufmerksamkeit geschenkt werden.

So hatten die Streckenläufer, die den Tunnel regelmäßig durchquerten, nicht nur im Winter die Eiszapfen abzuschlagen, die sich an der Tunneldecke immer wieder bildeten, sondern mussten auch auf lose oder herab gefallene Quader achten, die aus dem Tunnelgewölbe stammten. Die Gefahr war groß, wenn so etwas geschah, dann kam es meistens zu größeren Gewölbeeinbrüchen.

Zu einem solchen Gewölbeeinbruch muss es in der Nacht vom Montag, den 31. Au­gust auf Dienstag, den 1. Sep­tem­ber 1931 im Bischofferöder Tunnel ge­kom­men sein, da das Homberger Kreisblatt am 2. Sep­tem­ber darüber be­rich­te­te, dass sich dort ein schweres Einsturzunglück ereignet hatte. Noch in der Nacht zum Dienstag wurde mit der Wiederherstellung des Tunnels begonnen, damit der Verkehr bald wieder fließen konnte. Mehr als 40 Bau­ar­bei­ter waren damit beschäftigt, das Tunnelgewölbe zu reparieren. Dabei scheint in der Eile ein Baugerüst nicht korrekt gesichert worden zu sein, so dass in der Nähe des Tunnelausgangs in Richtung Burghofen ein Gerüst in sich zusammenbrach und drei Handlanger darunter begrub, von denen zwei schwer und einer leicht verletzt wurde. Ein vierter Arbeiter kam mit dem Schrecken davon. Bei den Verletzten handelte es sich um zwei Handlanger aus Burghofen und einen aus Schemmern, von denen einer bei dem Unglück so schwer verletzt wurde, dass er noch während der Nacht in die Göttinger Klinik gebracht werden musste.

Im Winter 1938 musste der Tunnel erneut einer größeren Reparatur un­ter­zo­gen werden. Als Baulokomotive musste die 57 1422, eine preußische G 10, beheimatet in Eschwege-West, herhalten. Anscheinend nach Be­en­di­gung der Ar­beiten stellte sich der Bautrupp der Kamera und es entstanden eine Auf­nah­me im Inneren des Tunnels und eine vor dem Westportal. Wenn man der Pers­pek­tive glauben mag, scheint das Gleis damals in der Tunnelmitte ver­legt ge­we­sen zu sein.

Im Tunneldurchmesser von Anbeginn für zwei Gleise ausgelegt, war im Tunnel nur ein Gleis verlegt worden, bis dieser in der 2.Jahreshälfte des Jahres 1944 als Zufluchtsstätte bei Tieffliegerangriffen zweigleisig ausgebaut wurde. Dies geschah vermutlich im Hinblick auf die Nähe des Bahnhofes Waldkappel, der sich bekanntlich auf einer Anhöhe ohne natürlichen Schutz vor Tief­fli­eger­an­grif­fen befand, was gegen Ende des 2. Weltkrieges fatale Folgen für den Bahn­hof hatte. Außerdem spielte der Bahnhof Waldkappel mit dem gesamten Ka­no­nen­bahn­ab­schnitt eine gewisse Rolle beim Abtransport der Rüstungsgüter aus der Munitionsfabrik Hirschhagen, die sich nur wenige Kilometer hinter dem Bahn­hof Waldkappel in Richtung Kassel befand. Nach 1945 wurde das zweite Gleis im Tunnel wieder entfernt.

In den Jahren 1961 und 1962 wurde der Tunnel ein letztes mal gründlich überholt. Die Arbeiten wurden fast ausschließlich von Italienern durchgeführt, die für die Dauer der Arbeiten in Waggons übernachtet hatten, die am Bahnhof Burghofen auf dem Gleis vor dem Güterschuppen abgestellt waren. Die Baumaschinen befanden sich ebenfalls dort, weil am Bahnhof mehr Platz vorhanden war als im engen Tunneleinschnitt. Von dort aus wurden Steine und Beton per Köf und offenem Güterwagen mehrmals täglich in den Tunnel gefahren.

Als die Zeit für die Strecke schon fast abgelaufen war, führten Ei­sen­bahn­freun­de am 26. April 1969 mit einem Oldtimer-Verbrennungstriebwagen der Bau­reihe VT 60.5 aus den Jahren 1939 und 1940 eine Fahrt von Malsfeld aus bis nach Wanfried durch. Auf der Fahrt durch den Bischofferöder Tunnel in Richtung Waldkappel fand vor dem Ostportal ein Fotografierhalt statt.

Schließlich fand mit dem 25. Mai 1974 die letzte Fahrt von Malsfeld her in Rich­tung Eschwege statt. Da gab es vor dem Westportal für Eisenbahnfreunde ein letz­tes Mal die Möglichkeit, einen Schienenbus vor dem Tunnel und bei der Ein­fahrt hinein zu fotografieren.

Nach der Stilllegung des Streckenabschnitts wurden die beiden Portale des Tunnels erst nach dem Rückbau der Strecke im Jahre 1975 bis auf einige Fluglöcher für Fledermäuse zugemauert und mit zweiflügeligen großen Toren versehen, damit der Tunnel noch begehbar war. Man hätte einen Fahrradweg oder ähnliches hindurch führen können, denn die Bausubstanz des Tunnels ist im Gegensatz zu den Eichsfeldtunneln noch heute sehr gut und da dieser durch geologisch ruhige Zonen führt, gab es in all den Jahren auch kaum Was­ser­ein­brü­che.

Erst in den Jahren um 2010 wurde auch von offizieller Seite die Idee von einem Fern­rad­weg entlang der Kanonenbahntrasse zwischen Malsfeld und Wald­kap­pel aufgegriffen, die auch den Bischofferöder Tunnel mit einbeziehen soll. Ob die­ser Vorschlag wohl jemals zur Realität wird?

Der Tunnel wird seitens der DB Netz bis heute noch regelmäßig durch einen Bau­werk­prüf­trupp begangen und bergamtlich untersucht. Bisher sind keine grö­ße­ren Schäden an der Bausubstanz bekannt geworden. Allerdings werden seit etwa 2004 aus Geldmangel keine Arbeiten mehr an den Tunnelportalen, wie das Entfernen von Buschwerk und anderes, durchgeführt, die das Mau­er­werk zerstören könnten. Dadurch ist die endgültige Zerstörung des Bau­denk­mals vorprogrammiert.

Im Dezember 2003 wurden die zwischenzeitlich schräg in ihren Angeln hän­gen­den großen Tore entfernt und durch weitmaschige Metallgitter ersetzt, da­mit die Fledermäuse besser ein- und ausfliegen können. Im Gitter befindet sich eine verschlossene Tür, damit der bauliche Zustand des Tunnels bei Bedarf kon­trol­liert werden kann.

Am Westportal des Eisbergtunnels auf der Bischofferöder Seite, daher auch der Name des Tunnels, bei km 72,01 angekommen, musste der Autor auch einige Strapazen auf sich nehmen, um durch den etwa 400 Me­ter langen Einschnitt zum Portal vorzustoßen. Von Süden her rauscht direkt am Tunnel ein Bachlauf kaskadenartig die gemauerte Rinne hinunter, um an der gleichen Seite in oder manchmal auch neben der Rinne dem Ende des Tunnel-Einschnitts entgegen zu fließen. Der Bach wird oberhalb der seitlichen Tunnelausmauerung schon von einer gemauerten Rinne aufgenommen, bevor er in den Kaskaden zur Sohle des Einschnitts fließt.

Wie die Baupläne vom Westportal zeigen, hatte man sich beim Bau auch dort nicht exakt an die Vorlage gehalten. Die Frontansicht passt zwar überein, jedoch wurde an Stelle des Wappens die Jahreszahl 1878 in den oberen Mittelstein eingefügt. Die Veränderungen an den Seitenmauern setzen sich zusammen aus dem Weglassen der kleinen Bögen am oberen Abschluss, dafür wurden aber in den beiden seitlichen Mauern wie am Ostportal auch schmale „Schießscharten“ eingefügt. In den Türmchen am oberen Frontabschluss hat man beim Bau die vorgesehenen Fensteröffnungen der Einfachheit halber schlichtweg „vergessen“.

Im Einschnitt treffen wir nach wenigen Metern auf der Südseite auf eine etwa 50 Me­ter lange Stützmauer, hinter der sich etwa bei km 72,1 alte Grundmauern befinden, die wahrscheinlich von einer ehemaligen Tunnel-Baubude oder sogar von einer Kantine herrühren. Das Gebäude wurde aber vermutlich schon sehr frühzeitig abgebrochen. Im Einschnitt liegt der Schotter noch fast überall, trotzdem ist hier alles ziemlich zu gewachsen, sogar etliche umgestürzte Bäume hindern am Durchkommen entlang der Trasse, aber der ehemalige Verlauf des Schienenweges selbst ist hier noch recht gut zu erkennen. Die letzten Meter der ursprünglichen Trasse im Einschnitt münden heute in eine Kuhweide, die nur während der vegetationslosen Zeit begangen werden kann.

Vor dem Abriss der Unterführung, Mostebrücke genannt, am Ortseingang von Bischofferode ging die Trasse am Ende des Einschnitts in einen Damm über. Dort wurde bis etwa in das Jahr 1975 die Straße von Hetzerode her kommend in einer recht schmalen Straßenunterführung nach einem großen Bogen im rechten Winkel überquert, wobei sich die Straße in einer engen S-Kurve durch die Unterführung quälen musste. Nach 1975 wurde diese mitsamt dem Damm abgetragen, die Straße verbreitert und die Kurve entschärft.

Jenseits der Straße und unmittelbar hinter der ehemaligen Unterführung beim Strecken-Kilometer 72,78 befand sich bis zur Stilllegung der Strecke am 26. Mai 1974 der neue Haltepunkt Bischofferode. Vor dem Aufgang zum neuen Haltepunkt steht ein ehemaliges Bahnwärterhaus, das heutzutage als Wohnhaus genutzt wird und das als Bahnhaus nicht mehr zu erkennen ist.

Carl Bellingroth schoss im Jahre 1934 vor der Unterführung bei km 72,7 ein Foto mit der Treysaer 24 065 mit dem P 1323. Dieses Foto ist seit der Auflösung der Bundesbahn-Direktion Kassel, das mit der Integrierung dieser Dienststelle in die DB-Direktion Frankfurt verbunden war, leider verschwunden.

Autor: Hermann Josef Friske